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Lebensmittelsicherheit

Persistente pathogene Keime – eine Herausforderung

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Mikroorganismen, die sich in lebensmittelverarbeitenden Betrieben festsetzen und fortwährend die Produkte kontaminieren, stellen die Branche vor eine große Herausforderung. Das gilt insbesondere dann, wenn es sich um pathogene, also Krankheiten auslösende Keime handelt. Prof. Dr. Michael Gänzle, Universität von Alberta im kanadischen Edmonton, forscht zum Thema Lebensmittelsicherheit.

Ein Keimabstrich wird gegen Licht gehalten

Ein Keimabstrich wird gegen Licht gehalten

„In meinem Team habe ich zwei Studierende, die auf dem Gebiet der Persistenz von Mikroorganismen in Lebensmittelbetrieben arbeiten“, sagt Michael Gänzle. Der Lebensmittelingenieur ist Professor für Lebensmittelmikrobiologie und Probiotika an der Universität von Alberta im kanadischen Edmonton und forscht unter anderem im Bereich der Lebensmittelsicherheit. „Meine Doktorandin arbeitet mit Fleisch verarbeitenden Schlachtbetrieben im Süden der Provinz Alberta und hat im letzten halben Jahr mehr als eintausend Bakterien von beprobten Flächen isoliert“, erzählt er. Noch seien die Daten nicht vollständig ausgewertet. Doch durch Genomsequenzierung wollen die Forscher herausfinden, ob die zu unterschiedlichen Zeitpunkten und an unterschiedlichen Orten im Betrieb gefundenen Mikroorganismen identische Stämme sind. „Schaut man sich Literaturdaten an, so stellt man fest, dass einige Organismen unabhängig von der verarbeiteten Rohware vorkommen. Andere Organismen findet man nur in Abhängigkeit von der Ware“, erklärt der Forscher. „Das lässt sich so interpretieren, dass ein Teil der Organismen über die Rohware in die Betriebe kommt und ein anderer Teil schlicht und ergreifend dauerhaft im Betrieb persistiert.“

Dabei würden vor allem nicht pathogene Organismen hervortreten. Dazu gehören überwiegend Bakterien der Gattungen Pseudomonas, Carnobacterium, Leuconostoc, Brochotrix aber auch Aeromonas und einige Enterobacterieaceae. Der überwiegende Teil ist Gram-negativ. Bei allen handelt es sich um Biofilmbildner die bei Kühltemperatur wachsen. „Schaut man sich hingegen die pathogenen Organismen an, die in Lebensmittelbetrieben relevant sind, stößt man zwangsläufig auf Listeria monocytogenes“, sagt Michael Gänzle. „Das ist unter den Lebensmittelpathogenen der wichtigste oder vielleicht sogar der einzige Organismus, der durch Persistenz im Betrieb Lebensmittel kontaminiert.“

Linie 2 Stämme neigen zur Persistenz

Von Menschen aufgenommen, können sie eine Listeriose auslösen. Bei intaktem Immunsystem kann die Erkrankung symptomlos verlaufen. Bei sehr hohen Keimzahlen kann es auch zu schweren Entzündungen des Magen-Darm-Traktes kommen. Gefährlich bis tödlich werden die Bakterien hingegen für immunsupprimierte Menschen und für Ungeborene im Mutterleib. Gefährdet sind grundsätzlich alle verzehrfertigen Lebensmittel, die eine kühlgelagerte Haltbarkeit von mehr als zwei Wochen haben. Denn bei diesen Bedingungen besteht die Gefahr, dass Listerien zu so hohen Keimzahlen wachsen, dass sie Menschen krank machen. Doch wie kommen die Keime überhaupt in den Betrieb?

„Die pathogenen Listerien teilen sich in zwei Linien auf“, erklärt Michael Gänzle. „Die Stämme der Linie I kommen überwiegend über Rohmilch und pflanzliche Rohkost in die Betriebe“, fährt er fort. „Sie sind zwar stärker virulent, dafür aber weniger geeignet, über im Betrieb zu persistieren.“ Genau andersherum würde es sich bei Stämmen der Linie II verhalten. Die seien zwar weniger virulent. Dafür seien sie fünf bis zehn Mal häufiger in Lebensmittelbetrieben anzutreffen und können dann die Produkte stetig kontaminieren. Wie, das soll am Beispiel eines vakuumverpackten Aufschnitts deutlich werden. Dafür wird Fleisch gemischt; in Form gebracht; erhitzt und durchgegart. Bei Kerntemperaturen von mindestens 80 Grad Celsius ergibt das im Prinzip ein sauberes und sicheres Produkt. Aber nach der Erhitzung folgen weitere Prozessschritte. Es wird geschnitten. Es wird verpackt. Und da besteht die Möglichkeit, das Produkt mit im Betrieb persistierenden Organismen zu rekontaminieren. „Ein anderes Beispiel ist Frischkäse“, ergänzt der Experte. „Beim Pasteurisieren der Milch werden zwar alle Listerien gründlich ausgeknockt. Aber bei den folgenden Prozessschritten kann es zu einer Rekontamination kommen, wenn Organismen im Betrieb persistieren.“

Gekommen, um zu bleiben

Um der Persistenz pathogener Mikroorganismen auf die Spur zu kommen, forschen zwei seiner Mitarbeiterinnen intensiv an diesem Thema. Zugute kommt ihnen dabei der Umstand, dass es seit etwa acht Jahren erschwinglich und relativ einfach möglich, Genome zu sequenzieren. Besitzt man nun die Genomsequenzen von Isolaten, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten gesammelt wurden, kann man aufgrund der Zahl der Unterschiede im Genom feststellen, ob das spätere Isolat ein Nachkomme des früheren Isolats ist. Sind es weniger als 10 bis 30 Basenpaare in einem 3 Millionen Basenpaare Genom, dann gehen Forscher davon aus, dass es sich um denselben Stamm handelt. „Die Ergebnisse meiner Mitarbeiterin stützen dabei gut ein Dutzend Studien, die überzeugend zeigen, dass Listerien über lange Zeit im Betrieb persistieren können.“ Besonders anschaulich illustriert das eine Studie, die sich eine lachsverarbeitende Fabrik im Nordwesten der Vereinigten Staaten angeschaut hat. Die Forscher fanden weniger als zehn Mutationen im Genom Listerien, die sie über einen Zeitraum von 17 Jahren gesammelt hatten. „Wenn man die Datenreihe extrapoliert, kommt man zu dem Schluss, dass die Fabrik bei ihrer Eröffnung in den 70er-Jahren von zwei oder drei Stämmen kolonisiert wurden“, fasst Michael Gänzle zusammen. „Diese Stämme blieben ständig persistent in der Fabrik und konnten durch Hygienemaßnahmen offensichtlich nie vollständig eliminiert werden.“

Die Stadt der Mikroben

Aber warum scheint es so schwer zu sein, pathogene Mikroorganismen aus dem Betrieb zu entfernen? „Ich glaube, die größte Schwierigkeit liegt in der Natur der Biofilme, sich vor allem an schwer zugänglichen Stellen festzusetzen“, sagt der Experte. „Das kann eine Schneidemaschine sein oder ein Förderband. Es gibt Verstecke, die sind schlecht zu reinigen, wenn man nicht die Anlage auseinandernimmt und direkt die Oberfläche abschrubbt.“ Und gerade dieses Schrubben ist wichtig, um persistenten Mikroorganismen zu Leibe zu rücken. Denn ein Biofilm ist eine sehr stabile Angelegenheit. Michael Gänzle nennt ihn auch eine Stadt der Mikroben und illustriert das folgendermaßen.

„Die Pyramiden in Gizeh sind etwa 160 Meter hoch. Das heißt, sie sind 100-mal so groß wie die Spezies, die sie gebaut hat“, sagt er. „Ein Biofilm erhebt sich in pilzartigen Strukturen etwa 150 Mikrometer über der Oberfläche, an die er fest angeheftet ist. Seine Erbauer, die Bakterien, sind grob geschätzt etwa ein Mikrometer groß. Das heißt, Biofilme sind etwa 150-mal so hoch wie die Organismen, die sie gebaut haben.“ Und dieser schieren Größe hat der Biofilm auch seine Hartnäckigkeit zu verdanken. Denn dadurch einsteht ein Diffusionshindernis. Desinfektionsmittel kommen schlicht und ergreifend nicht hindurch. „Die schaffen die ersten paar Mikrometer und dann ist das Desinfektionsmittel verbraucht“, sagt er. „An die Organismen, die in der Tiefe sitzen, kommt es nicht. Da hilft tatsächlich nur kräftiges Schrubben.“

Gut ist nicht gut genug

Für den Experten muss der Lösungsansatz deshalb auf mehreren Säulen ruhen. Eine davon sei konsequent umgesetztes Hygienic Design. Gebäude und Maschine müssen also so konzipiert sein, dass sie einfach zu reinigen sind. Das ist die Hardware. Die zweite Säule sei die „Software“, wie Michael Gänzle das Personal nennt. Dieses müsse umfassend geschult sein, um die Hygienemaßnahmen auch fachgerecht umzusetzen. Und zu guter Letzt sei ein regelmäßiges umfassendes Monitoring wichtig. Denn nur so könnten persistierende Organismen tatsächlich auch entdeckt werden. „Ich bin der festen Überzeugung, dass durchschnittliche Hygienemaßnahmen nicht helfen. Um persistierende pathogene Organismen in den Griff zu bekommen, muss es wirklich das Beste sein“, resümiert der Wissenschaftler.

Prof. Dr. Michael Gänzle

Prof. Dr. Michael Gänzle