Der Schlüssel zur vernetzten Zukunft
Ziel ist es, Produktinformationen standardisiert und digital entlang der gesamten Wertschöpfungskette verfügbar zu machen – von Materialdaten über den Energieverbrauch bis hin zu Wartungsinformationen.
Der DPP schafft die Grundlage für vorausschauende Wartung, eine optimierte Anlagensteuerung und eine verbesserte Rückverfolgbarkeit. Doch wie lässt sich der DPP in bestehende Systeme integrieren? Welche technische Standards und organisatorischen Voraussetzungen sind erforderlich?
Michael Riester, Head of Research & Development bei Endress+Hauser Digital Solutions, beantwortet diese Fragen im Interview mit dem Anuga FoodTec Magazin. Er beleuchtet die aktuellen Entwicklungen rund um den Digitalen Produktpass – und erläutert, wie Unternehmen durch gezielte Investitionen bereits heute den Grundstein für eine nachhaltige und digital vernetzte Industrie legen können.
Warum ist der Digitale Produktpass (DPP) aus Ihrer Sicht ein zentrales Zukunftsthema für die Industrie?
Michael Riester: Der Digitale Produktpass ist ein essenzieller Baustein für die Digitalisierung und Standardisierung industrieller Prozesse. In einer zunehmend vernetzten Welt, in der Daten zur wichtigsten Ressource werden, schafft der DPP die Voraussetzung für durchgängige Transparenz entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Produktinformationen werden strukturiert, maschinenlesbar und standardisiert bereitgestellt – unabhängig vom Hersteller oder vom System. Dadurch lassen sich Prozesse effizienter gestalten, Entscheidungen fundierter treffen und gesetzliche Anforderungen besser erfüllen. Der DPP ist somit nicht nur eine technologische Innovation, sondern ein Instrument, das die Industrie nachhaltiger, transparenter und zukunftssicherer macht.
Welche konkreten Vorteile ergeben sich für Anlagenbetreiber und Hersteller durch die Einführung des DPP?
Michael Riester: Die Vorteile liegen auf mehreren Ebenen. Zunächst verbessert der DPP die Effizienz, etwa durch automatisierte Datenbereitstellung und die Möglichkeit zur zustandsbasierten Wartung. Echtzeit-Informationen zu Gerätezuständen ermöglichen es, Ausfälle gezielt zu vermeiden und Ressourcen optimal einzusetzen.
Ein zweiter zentraler Aspekt ist die Transparenz. Mit dem DPP wird der gesamte Lebenszyklus eines Produkts dokumentiert – von der Herstellung über den Betrieb bis hin zur Entsorgung. Diese durchgängige Nachvollziehbarkeit erleichtert den Informationsaustausch zwischen Herstellern, Betreibern und Zulieferern enorm.
Drittens spielt der DPP eine wichtige Rolle in der Nachhaltigkeit. Er liefert Daten zum CO₂-Fußabdruck, zur Recyclingfähigkeit von Materialien oder zur Umweltwirkung eines Produkts – Informationen, die heute in der ESG-Berichterstattung zunehmend gefordert sind.
Wo liegen aktuell die größten Herausforderungen bei der Einführung des DPP in Unternehmen?
Michael Riester: Die Integration des DPP ist technisch wie organisatorisch anspruchsvoll. Die Unternehmen setzen eine Vielfalt von Komponenten von verschiedensten Herstellern ein, die mit unterschiedlichen IT- und OT-Systemen integriert werden, was die Einführung standardisierter Datenmodelle erschwert. Die Datenqualität ist ein zentraler Punkt: Informationen müssen konsistent, vollständig und in einem einheitlichen Format vorliegen – dafür braucht es Schnittstellen, klare Verantwortlichkeiten und harmonisierte Standards.
Ein weiteres Thema ist die Interoperabilität (Kompatibilität). Der DPP funktioniert nur, wenn Daten systemübergreifend austauschbar sind. Hier kann die Asset Administration Shell (AAS) eine entscheidende Rolle spielen, da sie als digitaler Zwilling die Verbindung zwischen physischem Produkt und digitaler Information schafft.
Nicht zu unterschätzen ist auch die Gewährleistung von Datensicherheit und Datenschutz. Der DPP enthält sensible Produkt- und Prozessdaten, die zuverlässig vor unbefugtem Zugriff, Manipulation oder Verlust geschützt werden müssen. Gleichzeitig muss klar geregelt sein, welche Stakeholder Zugriff auf welche Informationen erhalten – gerade im Zusammenspiel mit Partnern entlang der Lieferkette. Eine weitere technische Herausforderung ist die automatische Identifikation: Die eindeutige Objektkennzeichnung gemäß IEC 61406 ist entscheidend, um reale Komponenten zuverlässig mit dem Digitalen Produktpass zu verknüpfen.
Organisatorische Herausforderungen:
Die erfolgreiche Umsetzung des Digitalen Produktpasses erfordert eine enge Zusammenarbeit über Unternehmens- und Branchengrenzen hinweg – von Herstellern über Betreiber bis hin zu Zulieferern und Dienstleistern. Gleichzeitig ist es wichtig, die Akzeptanz bei den Mitarbeitenden zu fördern und sie gezielt im Umgang mit digitalen Prozessen zu schulen. Hinzu kommen regulatorische Anforderungen, auf die sich Unternehmen frühzeitig einstellen und entsprechende Strategien zur langfristigen Einhaltung dieser gesetzlichen Vorgaben entwickeln müssen.
Welche Lösungen bietet Endress+Hauser an, um Unternehmen bei der Umsetzung des DPP zu unterstützen?
Michael Riester: Wir haben bereits erste Schritte in Richtung Digitaler Produktpass realisiert – insbesondere mit unseren digitalen Typenschildern. Diese werden nach und nach für alle Produkte mit QR-Codes oder RFID-Tags nach IEC 61406 versehen, die es ermöglichen, produktspezifische Informationen jederzeit und weltweit abzurufen. Dazu gehören beispielsweise Dokumentationen, Zertifikate oder Wartungshinweise. Das schafft unmittelbaren Mehrwert für den Anwender – ohne Medienbrüche.
Darüber hinaus arbeiten wir mit Partnern daran, den DPP in Industrie-4.0-Umgebungen zu integrieren – etwa durch die Verknüpfung mit digitalen Zwillingen auf Basis der Asset Administration Shell (IEC 63278). Das ermöglicht nicht nur eine durchgängig digitale Informationsverfügbarkeit, sondern schafft auch die Grundlage für vorausschauende Instandhaltung und effizientere Anlagensteuerung.
Ein weiterer Beitrag von Endress+Hauser ist unser Engagement in Standardisierungsgremien. Als aktives Mitglied der Industrial Digital Twin Association (IDTA) und der Open Industry 4.0 Alliance bringen wir unsere Expertise ein, um praxistaugliche und interoperable Standards für den DPP mitzugestalten und zu implementieren – etwa zur digitalen Dokumentation gemäß VDI 2770, die eine strukturierte Bereitstellung technischer Produktinformationen ermöglicht.

In einer zunehmend vernetzten Welt, in der Daten zur wichtigsten Ressource werden, schafft der DPP die Voraussetzung für durchgängige Transparenz entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Copyright: ©Pixabay
Wie ist die aktuelle Stimmung in der Industrie gegenüber dem DPP? Gibt es noch Vorbehalte?
Michael Riester: Es gibt durchaus noch Zurückhaltung – insbesondere was den Aufwand und die rechtliche Unsicherheit betrifft. Viele Unternehmen warten ab, weil die EU-Vorgabe erst bis 2030 vollständig greifen wird. Gleichzeitig besteht Sorge, dass durch den DPP sensible Daten offengelegt werden könnten oder neue Sicherheitsrisiken entstehen.
Ein weiterer kritischer Punkt ist die Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette. Damit der DPP sein Potenzial entfalten kann, müssen Hersteller, Betreiber und Zulieferer gemeinsam an einem Strang ziehen. Das ist aktuell noch eine Herausforderung, weil nicht alle Beteiligten dieselben Prioritäten oder Ressourcen haben.
Welche Rolle spielen neue Technologien wie KI, Blockchain oder digitale Zwillinge für die zukünftige Entwicklung des DPP?
Michael Riester: Diese Technologien sind essenziell für den nächsten Entwicklungsschritt. Blockchain kann helfen, Daten dezentral, transparent und damit auch fälschungssicher zu speichern und Vertrauen zwischen Akteuren zu schaffen – etwa bei der Dokumentation von Herkunft oder Nachhaltigkeitsangaben. Künstliche Intelligenz kann wiederum dabei unterstützen, große Datenmengen automatisch zu analysieren und daraus Entscheidungen abzuleiten – beispielsweise für Wartungszyklen oder Effizienzpotenziale.
Besonders wichtig ist der digitale Zwilling: Er ist das Bindeglied zwischen realem Produkt und digitalen Informationen. Nur wenn Unternehmen auf standardisierte Zwillinge setzen, wird ein nahtloser Datenaustausch möglich – herstellerübergreifend, systemunabhängig und sicher.
Auch über 2030 hinaus soll der Datenaustausch rund um den Digitalen Produktpass auf diesen Standards basieren. Entscheidend ist, dass der Fokus auf den Inhalten liegt, nicht auf der Technik dahinter. Wie beim Internet, wo verschiedene Browser problemlos auf dieselben Inhalte zugreifen, sollte auch der industrielle Datenaustausch möglichst reibungslos funktionieren. Dafür braucht es unternehmensübergreifende Interoperabilität auf Basis verbindlicher Standards.
Wenn Sie drei zentrale Gründe nennen müssten, warum Unternehmen sich heute mit dem DPP beschäftigen sollten – welche wären das?
Michael Riester:
Erstens: Transparenz – der DPP schafft nachvollziehbare, aktuelle und strukturierte Informationen über Produkte und Prozesse.
Zweitens: Zukunftssicherheit – Unternehmen, die frühzeitig in den DPP investieren, sind regulatorisch besser vorbereitet.
Und drittens: Wettbewerbsvorteil – wer Daten intelligent nutzt, kann Prozesse optimieren, Kunden besser informieren und nachhaltiger wirtschaften.
Für weitere Informationen:
Michael Riester
Head of Research & Development, Endress+Hauser Digital Solutions
Endress+Hauser Group Services AG, Schweiz
E-Mail:
michael.riester@endress.com
Wichtige Standards für den DPP:
- IEC 61406 – Definiert die automatische Identifikation physischer Objekte und ermöglicht eine eindeutige Verknüpfung mit digitalen Informationen.
- VDI 2770 – Richtlinie für die digitale technische Dokumentation; sorgt für einheitliche, strukturierte und wiederverwendbare Produktinformationen.
- IEC 63278 (Asset Administration Shell, AAS) – Standard zur einheitlichen Verwaltung von Asset-Daten; zentrale Grundlage für die Integration digitaler Zwillinge.
- OPC UA (Open Platform Communications Unified Architecture) – Ermöglicht eine standardisierte, herstellerunabhängige Kommunikation zwischen Maschinen, Sensoren und IT-Systemen.