Köln: 23.–26.02.2027 #AnugaFoodTec2027

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Mit Energieeffizienz zur Klimaneutralität

„Nur ein Mix an Maßnahmen führt zum Erfolg“

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Eine nachhaltige Energieversorgung berücksichtigt neben der Effizienzsteigerung auch die erneuerbare Versorgungsseite.

„Die Notwendigkeit der Transformation kann als Anstoß genutzt werden, um thermische Energieversorgungskonzepte neu zu denken“, sagt Prof. Dr Alexander Sauer vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. Bild: © Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA

Solare Prozesswärme, Photovoltaik, Wärmepumpen, Kraft-Wärme-Kopplung: Immer mehr Industriebetriebe nutzen den Trend in Richtung energieautarker, CO2-neutraler Produktion – ein gangbarer Weg auch für die Unternehmen der

Food Branche? Ein Gespräch mit Prof. Dr. Alexander Sauer vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, darüber wie Lebensmittel- und Getränkehersteller zur Energiewende und Dekarbonisierung beitragen, und langfristig Energiekosten einsparen.

Um Energie zu sparen und CO2-Emissionen zu reduzieren, brauchen Unternehmen einen Überblick über ihre Energiedaten als Basis für eine nachhaltige Verbesserung. Bild: © DLG

Herr Prof. Dr. Sauer, Energieeffizienz nach DIN ISO 50001 ist heute ein „Muss“ in jedem größeren Unternehmen, basiert aber überwiegend auf Einzelmaßnahmen. Reicht dieser Ansatz, um die Potenziale in Richtung einer nachhaltigen Energieversorgung zu erschließen?
Nein. Die Umsetzung von Einzelmaßnahmen reicht leider nicht aus. Eine nachhaltige Energieversorgung berücksichtigt neben der Effizienzsteigerung auch die möglichst erneuerbare Versorgungsseite, die mit dem Energieverbrauch abgestimmt werden muss. Wir nutzen am IPA deshalb einen übergreifenden Ansatz, um die Abhängigkeit verschiedener Maßnahmen zu analysieren und somit eine Gesamtoptimierung zu erreichen.

Wie gehen Sie zu Beginn eines entsprechenden Projektes vor?
Um die Gesamtoptimierung in einem komplexen Energiesystem zu ermitteln, müssen wir die verschiedenen Einzelmaßnahme mithilfe eines Simulationsmodells kombinieren. Auf diese Weise können wir die Auslegung und den Betrieb der Anlagen entsprechend anpassen.

Wenn nur ein Mix unterschiedlicher regenerativer Energien zum Erfolg führt, welche Voraussetzungen sind dann erforderlich, um mehrere Maßnahmen miteinander kombinieren zu können?
Ein Beispiel ist unser Projekt mit der Mercedes-Benz AG und deren Factory 56. Hier haben wir gemeinsam ein übergeordnetes Energie- und Lastmanagement entwickelt, um verschiedene Systeme, wie Lüftungsanlagen, PV-Anlagen und Energiespeichertechnologien, kombiniert ansteuern zu können. Damit erhalten wir neben effizienten Betriebszuständen, auch die Möglichkeit, den Eigenverbrauch der PV-Anlage zu maximieren und je nach Situation auf den Energiemarkt reagieren zu können.

Sind dies auch die Maßnahmen, mit denen das Fraunhofer IPA Lebensmittelproduzenten unterstützt?
Wir arbeiten in verschiedenen Projekten zum Thema klimaneutrale Produktion mit Lebensmittelproduzenten zusammen. Die Schritte bauen dabei aufeinander auf: Erhöhung der Energieeffizienz, Einbindung regenerativer Energiequellen und Erhöhung der Eigennutzungsquote von erneuerbaren Energien. Besonders im Bereich der Abwärmenutzung und der Bewertung von Nutzungsstrategien können wir helfen, den Energieverbrauch zu reduzieren. In der Lebensmittelbranche ist das leider immer noch ein zu wenig beachteter Aspekt.

Vielen dürfte also gar nicht bewusst sein, wieviel Energie durch ungenutzte Abwärme verloren geht. Welche Lösungen bieten Sie, damit die Betriebe ihre Potenziale besser ausschöpfen?
Wir entwickeln gemeinsam mit den Unternehmen Transformationspfade zu einer elektrifizierten Wärmeversorgung, beispielsweise durch Wärmepumpen, binden alternative Energieträger wie Biogas und Wasserstoff mit ein, optimieren den Bezug von erneuerbaren Energien und schaffen Schnittstellen zum Energiemarkt. Hier können wir als anwendungsnahes Forschungsinstitut einen besonderen Mehrwert bieten. Durch unser Energieflexibilitätsaudit können wir Potenziale identifizieren und so die Eigennutzungsquote erhöhen.

Nur wer einen detaillierten Überblick über seine Verbräuche hat, kann seinen Energieeinsatz effizient gestalten. Welche Stationen stehen für die Unternehmen auf der Roadmap zur Energiedatenanalyse?
Die Energiedatenanalyse ermöglicht es, zielgerichtete digitale Services abzuleiten, um CO2-Emissionen und die Wirtschaftlichkeit des Energiesystems “auf Knopfdruck” zu optimieren. Nach unserer Erfahrung erfassen heute bereits viele Unternehmen zu einem gewissen Grad ihre Energiedaten, nutzen diese aber häufig noch unzureichend. In einem ersten Schritt geht es zunächst darum, relevante Datenquellen zu erfassen und ihre Qualität zu analysieren. Darauf aufbauend können verschiedene Algorithmen genutzt werden, etwa um Energieeffizienzmaßnahmen abzuleiten oder um Anomalien im Signalverlauf zu erkennen.

Können Sie das an einem Beispiel erläutern?
Das Fraunhofer IPA hat etwa im Rahmen des KMU-Innovativ-Projekts CS4I Lösungen ausgearbeitet, um den CO2-Fussabdruck in der Getränkeindustrie, in diesem Fall Gerolsteiner Brunnen GmbH & Co. KG, zu reduzieren. Konkret werden digitale Services entwickelt, die zunächst dabei unterstützen, einen Live-CO2-Fussabdruck zu erzeugen, der als Grundlage für die Ableitung von Effizienzmaßnahmen dienen kann.

Auf welche Hürden stoßen Sie dabei?
Herausfordernd ist es zunächst, die Emissionen entlang der ganzen Wertschöpfungskette einzubeziehen. Angefangen vom Anbau der Äpfel für die Apfelsaft-Schorle bis hin zu den Emissionen des Transports zum Endkunden. Für Unternehmen ist es wichtig, Emissionen der vor- und nachgelagerten Lieferkette zu erfassen, um ein umfassendes Verständnis der eigenen Emissionen zu erlangen. Darüber hinaus wurden Instrumente für die Investitionsentscheidung entwickelt, um etwa bei der Beschaffung einer neuen Abfülllinie Nachhaltigkeitsgesichtspunkte transparent einzubeziehen. Wichtig ist es hier, ein Verständnis aufzubauen, dass Emissionen bereits bei Investitionsentscheidungen einbezogen werden müssen.

Sie hatten erwähnt, dass es auch darum ginge, Anomalien zu erkennen. Was ist darunter zu verstehen?
Beispielsweise wird für das Aufblasen von PET-Flaschen in der Getränkeindustrie Druckluft verwendet, die zu den teuersten Energieformen in der Industrie gehört. Eine Anomalie-Erkennung für das Druckluftsystem kann hier dazu beitragen, teure und CO2-intensive Leckagen im Idealfall direkt nach dem Auftreten zu identifizieren und automatisiert an die Instandhaltung zu melden. Hierfür muss zunächst geschaut werden, welche Sensoren bereits verbaut sind und wie diese gegebenenfalls ergänzt werden müssen. Im Anschluss kann eine Anomalie-Erkennung basierend auf den gemessenen Daten trainiert werden, um anschließend eine kontinuierliche Überwachung des Systems zu implementieren.

Sprechen wir noch über Sektorenkopplung. Eine Option für die Lebensmittelindustrie und wenn ja, in welcher Form lässt sich dieses Konzept in die Produktionsabläufe einbinden?
Ein wichtiger Ansatz ist die Verknüpfung des Strom- und des Wärmesektors. In der Lebensmittelproduktion wird ein Großteil der Energie in Form von Wärme und Kälte benötigt. Durch die Elektrifizierung der Wärmeversorgung kann somit einfacher Strom aus erneuerbaren Energien genutzt werden. Eine weitere Möglichkeit bietet die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), mit welcher der Gesamtenergieeinsatz reduziert und gleichzeitig Strom, Wärme in Form von Dampf oder Heißwasser und gegebenenfalls auch Kälte bereitgestellt werden kann. Für die Lebensmittelindustrie eignen sich aufgrund ihres hohen kontinuierlichen Bedarfs an Prozesswärme bei niedrigen bis mittleren Temperaturniveaus sowohl KWK-Anlagen als auch Wärmepumpen. Darüber hinaus bietet ein Druckluftheizkraftwerk (DHKW) die Möglichkeit, Druckluft und Wärme zu erzeugen.

Darüber hinaus muss das Gleichgewicht zwischen Energieerzeugung und -verbrauch zu jeder Zeit sichergestellt sein. Welche Rolle können regenerative Energiequellen dabei spielen?
Regenerative Energiequellen haben den Nachteil, dass die Energieerzeugung in Abhängigkeit von Tages- und Jahreszeit stark variieren kann. Bei einem hohen Anteil von Stromerzeugung durch erneuerbare Energien kann es deshalb dazu kommen, dass ein Ungleichgewicht zwischen der Erzeugung und dem Bedarf entsteht. Um in solchen Situationen das Gleichgewicht wiederherzustellen, müssen Maßnahmen implementiert werden, die den Bedarf flexibilisieren, beispielsweise durch die Nutzung von Speichern. Die Unternehmen der Lebensmittelindustrie können dabei sowohl auf der Erzeugungs- als auch auf der Verbrauchsseite unterstützen.

… das bedeutet?
Durch die Erzeugung von regenerativer Energie vor Ort kann das Unternehmen Energiekosten einsparen und zur Dekarbonisierung der Industrie beitragen. Auf der Verbraucherseite lässt sich beispielsweise durch den Bau von Speichern die Energieflexibilität des Standortes erhöhen. Es können aber auch andere technische und organisatorische Maßnahmen ergriffen werden. Beispielsweise können Kühlhäuser als Kältespeicher in einem definierten begrenzten Temperaturbereich betrachtet stärker oder schwächer gekühlt werden. Dadurch lässt sich kurzzeitig die Verbrauchslast erhöhen und später reduzieren.

Einer der Schwerpunkte am Fraunhofer IPA ist die Erarbeitung thermischer Energieversorgungskonzepte und Technologien, die nachhaltigen und ökonomischen Anforderungen standhalten. Welche Ansatzpunkte sehen Sie hier, um die Prozesse in der Lebensmittelindustrie zukunftssicher zu gestalten?
Heutzutage wird immer noch ein Großteil der Wärme durch Verbrennung von Gas oder Öl erzeugt. Daher kann die Notwendigkeit der Transformation als Anstoß genutzt werden, um thermische Energieversorgungskonzepte neu zu denken. Vielversprechend sind in dieser Hinsicht die intelligente Kopplung verschiedener Technologien, die hybride oder bivalente Energiebereitstellung und die Berücksichtigung von H2-ready Technologien. Durch diese kombinierte Betrachtung lässt sich kurzfristig ein ökologischer Mehrwert erzeugen und langfristig ökonomische Vorteile realisieren. Eine weitere Möglichkeit ist, wie erwähnt, der Einsatz von KWK-Anlagen und Wärmepumpen, mit denen sich der Gesamtenergieeinsatz reduzieren und damit auch die Nachhaltigkeit steigern lässt. Zusätzlich können erneuerbare Brennstoffe die Treibhausgasemissionen bereits heute deutlich reduzieren und perspektivisch mit Wasserstoff vollständig vermieden werden.

Abschließend noch ein konkretes Beispiel: Im Rahmen des Projekts "SynErgie" wurde am Fraunhofer IPA ein Demonstrator aufgebaut, mit dem die Machbarkeit einer bivalenten Druckluftbereitstellung validiert wurde – ist ein solches System eine Option für die Lebensmittelindustrie? Welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein?
Das hybride Druckluftheizkraftwerk ist in der Lage, parallel Druckluft, Wärme und Strom durch die Nutzung von Gas und Strom zu erzeugen. Im Normalbetrieb wird das DHKW über den Gasmotor betrieben, der einen Verdichter antreibt und damit Druckluft erzeugt. Parallel dazu können die Wärme aus dem Abgas und der Verdichter genutzt werden. Sollte es zu einer Reduktion des Druckluftbedarfs kommen, kann über eine elektrische Maschine als Generator Strom erzeugt werden.

Welche Vorteile bietet dies?
Im Falle von negativen Strompreisen kann die Drucklufterzeugung über die elektrische Maschine als Motor erfolgen. Durch das hybride DHKW hat man also die Vorteile einer langen Betriebsdauer und eines hohen Wirkungsgrads sowie die Flexibilität des Energieträgerwechsels zwischen Gas und Strom. Besonders sinnvoll sind dabei Grundlastanwendungen, weil im Normalbetrieb (über den Gasmotor) immer sichergestellt werden muss, dass die erzeugte Wärme genutzt wird. Daher sind Industriebranchen mit einem hohen Druckluft- und Wärmebedarf besonders für die Einbindung von hybriden DHKWs geeignet, das heißt auch die Lebensmittelindustrie.