Köln: 23.–26.02.2027 #AnugaFoodTec2027

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Mikroalgen und ihr Potenzial für die Lebensmittelindustrie

Mikroalgen

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Wie sich das Potenzial von Mikroalgen als alternative Proteinquelle für die Lebensmittelindustrie erschließen lässt, und eine Senkung der noch hohen Prozesskosten erreicht werden kann, erläutert der Phykologe Jörg Ullmann. Er ist Geschäftsführer von Europas größter Algenfarm, der Klötze GmbH & Co. KG. Als Pionier auf dem Gebiet der Mikroalgenkultivation berichtet er aus der Praxis.

Bild von Herrn Jörg Ullmann, Geschäftsführer der Algenfarm Klötze GmbH & Co.KG

Jörg Ullmann

Herr Ullmann, Sie kultivieren rund ein Dutzend unterschiedliche Mikroalgen, beispielsweise Chlorella- oder Spirulina-Arten. Auf welche Weise geschieht das?

Wir arbeiten in Klötze mit Photobioreaktoren und Fermentern. Gemeinsam mit Partnern kommen daneben auch Becken, also Ponds, in Gewächshäusern zum Einsatz. Alle drei Technologien haben ihre Vor- und Nachteile. Je nach den Ansprüchen der Algen an Licht, Temperatur und Medien eignen sie sich jeweils für bestimmte Spezies und Applikationen. Unser computergeregelter Photobioreaktor besteht aus transparenten Glasröhren von insgesamt 500 Kilometern Länge und ist in einem Gewächshaus installiert. Damit sind die Algen einerseits ideal dem natürlichen Sonnenlicht ausgesetzt und andererseits weitgehend vor Kontaminationen aus der Umwelt geschützt. Zum Wachsen brauchen sie neben Licht nur Wasser, CO2 und Nährstoffe. Es kommen keinerlei Pestizide, Antibiotika oder Ähnliches zum Einsatz. Eine erste Teilernte nach der Inokulation erfolgt schon nach wenigen Tagen und kann dann jeden zweiten, dritten Tag wiederholt werden. Da wir weder künstlich beleuchten noch heizen, können wir hier momentan saisonal von März bis November produzieren.

Im industriellen Maßstab werden vor allem die Farbstoffe in Form von blauem Phycocyanin, ungesättigten Omega-3-Fettsäuren und Vitamine genutzt, weniger das Eiweiß. Wären Mikroalgen eine gute Quelle für alternatives, nicht tierisches Eiweiß und wie ließe es sich isolieren?

Mikroalgen zeichnen sich dadurch aus, dass sie in kurzer Zeit, bei geringem Flächenbedarf und Ansprüchen viel nutzbare Biomasse bilden. Wir selber gewinnen über eine zweistufige Entwässerung per Filtration oder Separation plus Trocknung primär die Biomasse für unsere B2B-Partner. Um daraus das Eiweiß zu isolieren, wäre eine übliche Extraktion die Methode der Wahl. Was den Gehalt betrifft, gibt es je nach Spezies eine große Spannbreite – bezogen auf die Trockenmasse etwa zwischen 10 und 70 Prozent. Die Aminosäurezusammensetzung und damit die biologische Wertigkeit ist generell gut.

Spirulina

Bisher werden von den vielen Algenstämmen nur wenige stärker genutzt. Wie könnte man Spezies finden, die mehr oder effektiver Eiweiß bilden?

Mit Spirulina oder Chlorella hat man schon zwei Mikroalgen, die 60 bis 70 Prozent Protein in der Biomasse enthalten können. Ganz neue Arten in den Markt zu bringen, ist schwierig, da sie automatisch als Novel Food klassifiziert würden. Wie das Beispiel Nannochloropsis zeigt, ist das Zulassungsprozedere langwierig und teuer. Es gibt aber noch andere Möglichkeiten: Aktuell werden fast ausschließlich Wildtyp-Stämme eingesetzt. Denkbar wären jedoch auch speziell gezüchtete Varianten mit einem optimierten Nährstoffgehalt. Wichtig ist es ansonsten, die Prozesse und Anbaumethoden in Richtung nachhaltiger Effizienz weiter zu entwickeln und auf diese Weise die noch vergleichsweise hohen Prozesskosten zu verringern.

Stichwort: Kosten. Wie stehen Mikroalgen und daraus gewonnene Proteine im Vergleich mit anderen Quellen da?

Bisher liegen die Kosten zur Gewinnung von Mikroalgenprotein deutlich über denen von Fleisch oder klassischen Nutzpflanzen – laut Schätzungen unter anderem von Wissenschaftlern der ETH Zürich aus 2021 kann man zum Beispiel von 1 US$ für ein Kilogramm Eiweiß aus Soja, 3 US$ bei Rindfleisch und 10 US$ bei Mikroalgen ausgehen. Wobei der Sojaanbau in Ländern wie Brasilien bekanntermaßen ebenfalls mittlerweile mit großen Umweltproblemen verbunden ist. Je mehr Unternehmen sich mit Alternativen wie Pilzen oder Mikroalgen beschäftigen und die Techniken optimieren, wird sich die Preisschere schließen. In absehbarer Zeit könnte so bei alternativen Proteinen Preispariät erreicht sein.

Glasröhren mit Mikroalgen

Welches sind Ihre konkreten Ziele und Projekte für dieses Jahr?

Für dieses Jahr stehen unter anderem Planungen verschiedener Projekte als Basis für weiteres Wachstum auf der Agenda. Beispielsweise investieren wir in Photovoltaik und werden die Reaktoren energetisch optimieren ¬– eben wegen des Einsparpotenzials und um den ökologischen Fußabdruck weiter zu verbessern. Neue Produktideen, die wir schon in der Schublade haben, sollen realisiert, Vertriebswege ausgebaut werden und einen neuen Webauftritt wird es ebenfalls geben.

Und generell?

Intern wird in der Branche unter anderem untersucht, inwieweit man Rest- und Nebenströme aus der Lebensmittelerzeugung oder anderen Bereichen als Rohstoffquelle für Mikroalgen nutzen kann. Meiner Meinung nach sind Algen hier sehr gut geeignet, Stoffkreisläufe zu schließen. Allgemein muss ansonsten noch mehr Aufklärungsarbeit bei Verbrauchern und Herstellern hinsichtlich der Vorteile und Chancen geleistet werden.

Um das Potenzial von Algen unter anderem zur Verringerung von CO2 und zur Verbesserung der Ernährungssituation besser zu nutzen, startete die EU im Herbst 2022 die sogenannte Algeninitiative. Dass es in der EU im Vergleich zu Asien so wenig Algenkulturanlagen gibt, liegt an regulatorischen Barrieren, nicht optimaler Förderung und unzureichender Aufklärung über Algen im Allgemeinen und den Algenanbau im Speziellen. Geplant sind daher ein Toolkit für Algenzüchter, Standortermittlung für die Algenzucht, Normen für Algenbestandteile und Kontaminanten, Analyse des Algenmarktes und mehr. (Weitere Infos unter: EU4Algae-Forum)